Diskussion über die Sportberichterstattung der Zukunft

"Wer die Schulhöfe nicht gewinnt, hat verloren"

02.12.2024

Die 19. "Stuttgarter Sportgespräche" sind prominent besetzt – und die Teilnehmer sich weitgehend einig in ihren Einschätzungen zu den veränderten Mediengewohnheiten. Christoph Ruf hat hingehört.

 

Schon der Titel "Alte Medien, neue Wege – die Sportberichterstattung der Zukunft" verspricht an diesem Abend interessante Debatten. Zumal dem Juristen Christoph Wüterich als Mitveranstalter der 19. "Stuttgarter Sportgespräche" die Kunst gelingt, ein wirklich gehaltvolles Impulsreferat zu halten. Anhand der legendären Herbert-Zimmermann-Reportage wirft er die Frage auf, ob heutige Übertragungen noch die gleiche Wirkmächtigkeit wie vor 70 Jahren haben können. Und tatsächlich sitzt ja auch manch 20-Jährigem "und Toooor" so tief im Ohr, als wäre er damals dabeigewesen. Das beweise "die unglaubliche Macht der Medien, Emotionen zu transportieren und Erinnerungen zu schaffen, die Generationen überdauern". Und zwar, der Einschub ist Wüterich wichtig, obwohl damals nur drei Kameras im Dienst waren und es heute 15-mal so viele wären. (Wüterich-Foto: 24passion)

Die anschließende Diskussion kreist dann stark um technische Neuerungen und die Notwendigkeit, den Zuschauern ein noch unmittelbareres Quasi-live-Erlebnis zu bescheren. Die Frage, ob ähnlich epochale Übertragungen wie 1954 heute überhaupt noch möglich sind, hätte wohl auch den Rahmen gesprengt. Gut möglich allerdings, dass sich 2024 auch Zimmermann "versendet" hätte, in Zeiten, in denen jederzeit tausende Stunden Sport abrufbar sind und oft wenig aufmerksam vorm Smartphone konsumiert werden.

ARD-Programmdirektorin Christine Strobl und Yorck Polus als Leiter der Hauptredaktion Sport beim ZDF diskutieren also mit Christian Seifert als Gründer des Sport-Streamingdienstes Dyn Media und mit Elisabeth Schlammerl, der Vizepräsidentin des VDS. Die entscheidenden Punkte sind dann auch schnell ausgemacht und werden meist im Konsens diskutiert. Erstens: Ja, die Branche muss sich (weiter) modernisieren. Und zweitens: Die größte Herausforderung ist die radikal veränderte Mediennutzung der Jungen.

Dass junge Menschen die großen Turniere weniger intensiv wahrnehmen als deren Eltern und Großeltern, ist messbar. Laut Institut für Generationenforschung schauen nur noch 40 Prozent der Unter-28-Jährigen Großveranstaltungen im TV (Stream und analog), bei den über 50-Jährigen sind es 70 Prozent. "Snipification" hat Seifert deshalb schon als DFL-Geschäftsführer zum probaten Mittel gegen die Gleichgültigkeit erklärt: kurze Clips und sonstige Snippets, die während einer Übertragung eingespielt werden. Die Entwicklung geht in genau diese Richtung. Im neuen TV-Vertrag sind Kurz-Interviews nach Ankunft des Mannschaftsbusses vorgesehen, auch "Schlüsselloch-Blicke" in die Kabine und mehr Home-Storys sind geplant. Alles für die Jugend. (Foto Seifert, links, und Strobl: 24passion)

Dass es ein Revival der Tageszeitung geben könnte, glaubt Elisabeth Schlammerl derweil nicht. Sie hält das Printprodukt für ein "Auslaufmodell" und glaubt, dass schon mittelfristig Zeitungen nur dann überleben können, wenn sie sich vollauf von der "Gratiskultur" verabschieden. "Es wird nur über Bezahlschranken gehen. Zumal die Verlage nach wie vor über Print mehr als über Online verdienen, was sich allerdings ändern wird." Ob die Fehler der Vergangenheit aufzuholen sind? Schlammerl ist skeptisch: "Man hat alles verschenkt, so erzieht man sich ein Publikum, das alles umsonst will."

Auch Seifert kann nicht gratis senden, aber er weiß, dass "Abos nicht populär" sind. Für die Dyn-Sportarten gelte jedoch, dass sie nur dann eine Chance haben, wenn über deren Spiele regelmäßig (und technisch anspruchsvoll) berichtet werde. "Bei jeder Sportart", berichtet Seifert, "entsteht die Nachfrage an Spieltagen."

Oft spielen sich Strobl, Polus und Seifert die Bälle zu. Die beiden Vertreter der Öffentlich-Rechtlichen loben nicht uncharmant ihre eigenen Anstrengungen zur Digitalisierung. Und beide betonen, dass sie oft zu Unrecht der Trägheit geziehen würden. Was verwundert. Denn weder der Moderator Jens Zimmermann noch sonst irgendwer hat zuvor den leisesten entsprechende Vorwurf formuliert. "Wir verstehen uns als Innovationstreiber und Taktgeber in der Sportredaktion für das gesamte ZDF", sagt Polus und betont, wie viel Aufwand es sei, TikTok und Instagram hochwertig zu bespielen.

Derweil erhalten er und auch Strobl vom dazu gebetenen Niko Kappel zumindest punktuell Lob. "Die Berichterstattung über die paralympischen Spiele hat sich gut entwickelt", findet der Para-Weltmeister, "vor allem wenn man sieht, wo wir herkommen." Interesse an seinem Sport sei zwar kurzfristig über einzelne Typen zu vermitteln, mittelfristig aber nur über die Vereine. Und da habe nicht nur die Leichtathletik Nachholbedarf. "Wenn ich irgendwann aufhöre, ist die Aufmerksamkeit raus. Wenn Serhou Guirassy den VfB verlässt, kündigt kein Sponsor dort sein Engagement." (Foto, v.l.n.r., Schlammerl, Kappel und Polus: 24passion)

Da nickt auch Seifert, der nun "die entscheidende Frage" formuliert: "Wie sehr umarmt man Innovation?" Seine Antwort: so fest wie möglich, denn ansonsten ginge man unter. Wenig überraschend, dass es Seifert ist, dem es zwischen Strobl und Polus irgendwann zu harmonisch wird. Angenehm differenziert bleibt er dennoch. Die Klage, dass ARD und ZDF, die er als "Pay-TV" mit gebührenfinanziertem Acht-Milliarden-Etat sieht, viel Spitzenfußball und wenig andere Sportarten übertragen, teilt er offenbar. Doch diese Kritik, sagt er, sei wohlfeil, so lange man den Anstalten nicht den Quotendruck nehme, den es ja angeblich gar nicht gibt.

Für Seifert sind die Dinge jedenfalls klar – und zwar für alle Sender, Verlagshäuser und Sportarten gleichermaßen: "Wenn Sie die Schulhöfe nicht gewinnen, haben Sie für die Zukunft verloren. Es geht um Relevanz, und das hat mit Präsenz zu tun."