Schon in der fünften Zeile geht es los: Soft-Skill-Aktionen. Ein kaum bekannter Begriff, den Julian Nagelsmann in einem SPIEGEL-Interview zur Fußball-EM ins Gespräch bringt. Soft-Skill-Aktionen – was das denn sei, fragt dazu ein überraschter Interviewer. Darauf Nagelsmann: "Ich beobachte, wie sich die Spieler auf dem Platz verhalten, beim Aufwärmen, wenn sie ausgewechselt werden. Oder beim Einwurf." Wäre wenigstens das hier noch einmal ausdrücklich geklärt – explizit geklärt, wie der Bundestrainer jetzt wohl sagen würde.
Hat der mit Anglizismen begabte Nagelsmann für seinen Sprachschatz doch auch schon für Pascal Groß den Beinamen Worker erfunden oder für Thomas Müller den Connector. Bei der EM erklärte er on point neu entdeckte Indikatoren, womit Jamal Musiala gut performt, dass Manual Neuer reflektiert, Robert Andrich ein Adjutant ist und bei Ilkay Gündogan nur das Momentum gefehlt habe, um in einen Flow zu kommen. Umschreibungen, die für einen Verfechter der deutschen Sprache wie eine Herausforderung klingen könnten – oder eine Challenge, um noch einmal kurz bei Nagelsmann zu bleiben.
Beim Dichter Heinrich Heine steht, die deutsche Sprache sei "reich an sich". Der berühmte Kollege war damit seiner Zeit weit voraus, konnte er doch vor 150 Jahren nicht ahnen, was das für Folgen haben kann. Zum Beispiel auch bei Thomas Tuchel. Unvergessen, wie der Trainer vergangene Saison für Verwirrung sorgte, in seinem Fazit zu einer Niederlage des FC Bayern in Bochum: Im Fernsehen bewertete er das 2:3 mit Hinweisen auf "Murphy's Law", "Expected Goals" und einem "xG-Wert von 3,4". Was das zu bedeuteten hatte für die Pleite seiner Elf, das verstanden außer Tuchel nur wenige. (Tuchel-Foto: augenklick/sampics Photographie)
Quo vadis, Sprache? Eine Frage, die man auch Michael Ballack stellen konnte, der meinte, Xabi Alonso habe sich mit seinem Verbleib in Leverkusen committed gezeigt. Für manche schleierhaft ist die vertikale Transition, ein Spielsystem, das den Trainer Roberto De Zerbi in der englischen Premier League erfolgreich gemacht hat. "Durchschnittlich jedes dreißigste Wort ist heutzutage ein Anglizismus", hat Roland Kaehlbrandt festgestellt, Sprachwissenschaftler und Autor des Buches "Deutsch – eine Liebeserklärung".
Für das Journalisten-Urgestein Helmut Markwort gilt als Focus-Erfinder der Leitspruch: "Immer an die Leser denken!" Doch da werden Leitsätze zu Leid-Sätzen, wenn auf solche Lehren die Leere folgt: kastrierte Sätze, Stammel-Deutsch wie Neuer hat Rücken, Kimmich muss Holding Six, Laimer gibt den rechten Verteidiger. Oder kurz und knapp in BILD, zur Bedeutung eines Überfliegers: "Klopp, der Alleiner". Eine Sprache der verlorenen Worte – für die Publizistin Elvira Grözinger eine "Verhunzung des Deutschen, das kommt für mich fast einer Körperverletzung gleich". Und als der Humorist Vicco von Bülow durch die Zeitschrift "Deutsche Sprachwelt", eine "Plattform für alle, die Sprache lieben", zum "Sprachwahrer des Jahres 2011" ausgerufen worden war, meinte der Loriot-Erfinder in seiner Dankesrede: "Wir sind auf dem Weg, unser wichtigstes Kommunikationsmittel so zu vereinfachen, wonach es in einigen Generationen genügen wird, sich grunzend zu verständigen."
Das Berichten über Fußball ist ohnehin speziell. Im Reporter-Regal zur Verfügung stehen Zielspieler (bekannt auch als Wandspieler), Schienenspieler, invasive Außen, flache Fünfer, diametrale Sechser, falsche Neuner, abkippende Zehner, hängende Spitzen. Auf Taktiktafeln werden sie wie Schachfiguren hin und her geschoben. Zu diesem Zickzack aus Zahlen war Leon Goretzka in der Süddeutschen Zeitung für den FC Bayern ein Box-to-Box-Achter, Thomas Müller ein Acht-Ein-Halber. (Goretzka-Foto: augenklick/GES)
Auf die Spitze trieb es wohl der ehemalige Nürnberger Trainer Robert Klauß nach einer Niederlage gegen St. Pauli. "Die Antwort fällt mir jetzt schwer, weil ich den Matchplan erkannt habe. Wir sind mit einem 4-2-2-2 auf Pressing eins gegen eins angelaufen und wollten nach Ballgewinn über den ballfernen Zehner umschalten. Wir sind dann im Ballbesitz in eine Dreier-Kette abgekippt mit dem asymmetrischen Linksverteidiger und dem breitziehenden linken Zehner, so dass wir 3-4-3 respektive 3-1-5-1 – je nachdem, wo sich Nikola Dovedan aufgehalten hat – gekippt sind. Erkennbar war's. Aber wir haben das einfach schlecht umgesetzt", wurde Klauss in den Nürnberger Nachrichten zitiert.
Wer mit solchen Irrungen und Wirrungen, dieser Mathematik um eine Mannschaft, nicht klarkommt, setzt sich dem Vorwurf aus, aus der Fußballzeit gefallen zu sein. "Was mich nervt, ist, dass heutzutage jeder über Systeme spricht“, klagte zuletzt sogar Uli Hoeneß, "früher bin ich zum Fußball gegangen und habe geschaut, wer gewonnen hat. Heute quatscht jeder mit, über die flache Vier, die Doppel-Sechs, die Raute. Die meisten, die so klug daherreden, würden sich die Hände brechen, wenn sie taktische Systeme aufzeichnen müssten."
Zu den Fußball-Klicks auf Social-Media-Plattformen gehört eine fiktive Szene mit Hans-Joachim Watzke und Matthias Sammer. Der Dortmunder Funktionär sitzt neben seinem Berater, sie begutachten ein Spiel, der als Grübler bekannte Sammer macht ein bierernstes Gesicht und sagt: "Das ballferne Pressing auf der abkippenden Acht ist viel zu passiv, der diametral kreuzende Sechser muss in der Spielöffnung mehr Outlets anbieten." Watzke hört angespannt zu, schaut kurz zu Sammer und entgegnet knapp: "Wenn das Netz wackelt, ist das ein Tor." (Foto Watzke/Sammer: augenklick/firo Sportphoto)
Dieser Satz erinnerte an Zeiten, als eine Plauderei über Fußball mit ihrer Volksnähe noch Zugang hatte für jedermann. Damals war die Sprache noch urig, ein "Mundstück des Volkes" (Buch für Aphorismen). Wenn die Rede kam auf den Turm in der Schlacht, den kompromisslosen Vorstopper, den wuselnden Außenstürmer. Das zu lesen ist wie Kino im Kopf. Vorbei die Zeiten.
Besonderen Spaß mit dem Wort zum Sport hat im Fernsehen der Bundesliga-Reporter Wolff Fuß. Einer, der durch bildreiche Vergleiche launig erzählt, was sich vor ihm abspielt. Ein Kessel Buntes aus Fachkompetenz und Unterhaltung. Zwar könnte bei ihm ein Laie auch mal kurz stutzen, wenn man sie nicht hört, auch nicht sieht und sie auch nirgendwo zu finden ist: die verlorene Körpersprache des Leroy Sané.
Deutlich genug aber sein Bild zum Torschützen Niclas Füllkrug, der blank steht, weil dieser ungehindert vollenden kann, er sieht im Fehlpass von Leon Goretzka eine Unebenheit in der Sozialstruktur und wird zum Zyniker, indem er die Spieler vom Absteiger Darmstadt 98 Blaumänner am Ball nennt, die das Gerät nicht bespielen, sondern bearbeiten und so auf der grünen Wiese am Bölle Ausschuss produzieren. Bei Fuß segeln Flanken verbraucherfreundlich in den Strafraum, es gibt Öffnungszeiten für die Viererkette in der Abwehr oder erhöhte Emissionswerte in der Autostadt Wolfsburg zur Niederlage der Bundesliga-Mannschaft VfL.
"Die Sprache ist reich an sich", könnte Heine wiederholen und ergänzend hinzufügen, "besonders im Sport." Vor über 200 Jahren schrieb Goethe im "Faust": "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen." Dazu würde sich der große Deutsch-Meister heutzutage im Grabe umdrehen – nicht immer, aber oft.