Zuletzt war Sport1 gefühlt wieder mittendrin im Geschehen, und besonders galt das für die Darts-WM. Viele Stunden täglich lief das Spektakel aus dem Londoner Alexandra Palace im Spartensender, oft mit bemerkenswerten Quoten, beim Finale sogar mit einem Rekord: 2,19 Millionen Menschen schauten zu, so viele wie nie zuvor. Der Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen lag in der Spitze bei mehr als 23 Prozent.
Auch sonst füllten die Pfeile oft große Teile des Fernsehprogramms, sie verschwanden nur nachts, morgens und am Vorabend phasenweise vom Bildschirm. Die Ausnahmen bildeten die Ruhetage bei der Darts-WM an Weihnachten und Silvester. Am Samstag vor Heiligabend mussten die Pfeile zudem für die Volleyball-Bundesliga der Frauen und das Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga der Männer weichen, das zur besten Sendezeit live übertragen wurde. Hinzu kamen am Sonntag Klassiker wie "Bundesliga Pur" und "Doppelpass".
Wer Sport1 lange nicht mehr gesehen hatte und zwischen Mitte Dezember und Anfang Januar reinzappte, hätte den Sender an vielen Tagen beinahe für ein Sport-Vollprogramm halten können. Tatsächlich handelte es sich aber um eine optische Täuschung. Denn wenn nicht gerade eine Darts-WM und das letzte Bundesliga-Wochenende des Jahres zusammenfallen, dominieren bei Sport1 ja Inhalte das Programm, die mit Sport oft wenig bis nichts zu tun haben. Das gilt beispielsweise für die "PS Profis – Mehr Power aus dem Pott" und für das Fashion-Reality-Format "My Style Rocks" ebenso wie für Poker und Teleshopping. Bei "Exatlon Germany – Die Mega Challenge" treten immerhin Teams auf Geschicklichkeitsparcours zum sportlichen Wettstreit gegeneinander an, vergleichbar mit "Ninja Warrior Germany" bei RTL.
Doch das ändert kaum etwas an dem Befund, dass Sport1 eher "Ziemlich wenig Sport1" heißen müsste. Zeitweise entfielen auf sportliche Inhalte im vergangenen Jahr nur 90 Minuten pro Tag, was auch damit zu tun hat, dass schlicht nicht genug Übertragungsrechte zur Verfügung stehen. Deutlich günstiger war da die Konserve der Schwester-Firma Constantin Film. Kurioserweise steigerte der eigentliche Sportsender mit Folgen der früheren Sat1-Klamaukserie "Hausmeister Krause" sogar die Einschaltquoten, was einiges über die sonstigen Angebote erzählt. (Foto Sport1/My Style Rocks: Screenshot sj/vds)
Neu ist die Abkehr vom Sport nicht. Das Fernsehprogramm des Senders entfernt sich bereits seit Jahren zunehmend vom ursprünglichen Markenkern. Durch den Einstieg des türkischen Medienhauses Acun Medya, das inzwischen 50 Prozent an der Sport1 GmbH hält, hat sich dieser Trend noch verstärkt. CEO Ebru Atasav Tahranci deutete im November im Interview mit DWDL.de bereits an, dass sich sogar auch der Sendername mittelfristig ändern könnte. Vorerst soll das aber nicht passieren, trotz des fortschreitenden Umbaus.
"Wir wollen Sport1 zu einem erfolgreichen Sender für Sport und Entertainment machen, wie unsere anderen Sender auch. Das bedeutet, dass Sport1 kein reiner Sportsender bleibt", sagte Tahranci. Weitere Reality-Formate wie Adaptionen von "Survivor" und "MasterChef" wurden angekündigt. Ein reiner Unterhaltungssender soll Sport1 laut Tahranci aber nicht werden. Vielmehr sei geplant, das Beste von Sport1 fortzuführen, darunter den "Doppelpass" und die Darts-Übertragungen. Ihr zufolge soll der Digitalbereich sogar ausgebaut werden, schließlich sei Sport1.de "ein echter Motor für die Marke". Die Pay-TV-Sender von Sport1 wurden dagegen verkauft. Auch, weil die wirtschaftliche Gesamtlage zuletzt sehr angespannt war. Dem Vernehmen nach mussten von 180 Angestellten 45 gehen, zunächst sollten es sogar 60 sein. Doch auch mit der Reduzierung der Belegschaft um ein Viertel statt um ein Drittel erlebte Sport1 im 32. Jahr des Bestehens eine Zäsur. (Foto Sport1.de: Screenshot sj/vds)
In der verbliebenen Belegschaft wird die Umstrukturierung mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung betrachtet. Kritisch wird unter anderem gesehen, wie die neue Geschäftsführung den Personalabbau vorangetrieben haben soll. "Es wurden ohne Rücksprache mit der Redaktion Mitarbeiter angesprochen, die gehen sollen", heißt es, zudem habe die massiv reduzierte Belegschaft "ein Loch in den Dienstplan gerissen". Zuweilen sind auch Sorgen zu hören, dass es wegen der sinkenden Sportanteile zu Problemen mit der Lizenz kommen könnte. Andererseits gibt es auch Zuversicht in der Redaktion. "Der Glaube und Wille sind absolut vorhanden, dass es nach diesem Schnitt weitergeht", sagt ein Redakteur. Ein anderer erinnert an die Geschichte des Spartensenders: "Wir hatten immer die geringsten Mittel und mussten das größte Herzblut haben." (Foto Sport1.de: Screenshot sj/vds)
Es passt zum Wandel bei Sport1, dass Jochen Stutzky, seit 2006 bei dem Sender und dem Publikum durch die News und den "Doppelpass" vertraut, inzwischen vor allem zu sehen ist, wenn er die Eigenproduktion "Exatlon" aus der Dominikanischen Republik moderiert. Acun Medya wollte dafür unbedingt ein vertrautes Sport1-Gesicht einsetzen, um dem Publikum einen Bezug zum neuen Reality-Format zu erleichtern. Bei dessen Start sagte Stutzky im September in einem Interview: "Es macht richtig Spaß hier, aber ganz auf die Sportberichterstattung zu verzichten, ist schwer vorstellbar."
Eine Option dafür fällt ab der kommenden Saison weg: Sport1 hat die Übertragungsrechte für das Topspiel der 2. Fußball-Bundesliga am Samstagabend an RTL verloren. Erworben hat Sport1 nur noch das Rechtepaket K, die Bundesliga- und Zweitliga-Highlights am Sonntag in der Zeit zwischen 6.00 und 15.00 Uhr. Zumindest "Bundesliga Pur" und der "Doppelpass" bleiben dem Publikum damit vorerst erhalten.