Sich an der Seite des eingespielten und launigen Duos Christoph Kramer und Per Mertesacker zu beweisen ist nicht immer einfach. Schon gar nicht, wenn man ganz neu dabei ist. Und doch saß Friederike "Fritzy" Kromp, vor der Heim-EM nur wenigen in Deutschland ein Begriff, wie selbstverständlich im ZDF-Studio zwischen den beiden Weltmeistern von 2014 und analysierte unter anderem das wohl letzte EM-Spiel von Superstar Cristiano Ronaldo.
Die 39-Jährige, hauptberuflich U-20-Trainerin der Frauen von Eintracht Frankfurt, war eines der weiblichen TV-Gesichter bei der Heim-EM – aber lange nicht das einzige. Esther Sedlaczek stellte Bundestrainer Julian Nagelsmann nach dem tränenreichen Viertelfinal-Aus gegen Spanien die ersten Fragen, Christina Graf berichtete für ein Millionenpublikum vom hochspannenden Halbfinale zwischen England und den Niederlanden. Bei MagentaSport führten Laura Wontorra und Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme die Zuschauer souverän durch die Übertragungen. Ob als Moderatorin, Expertin oder Kommentatorin – Frauen brachen bei der Männer-EM langjährige Stereotype auf. (Kromp-Foto: firo sportphoto/augenklick)
"Warum sollte man nicht auch auf weibliche Expertise setzen?", sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky dem Sport-Informations-Dienst (SID). Der öffentlich-rechtliche Sender wird bei Fußball-Übertragungen immer weiblicher. Sedlaczek (38) bildet seit 2021 ein eingespieltes Team mit Rio-Weltmeister Bastian Schweinsteiger, Graf (38) zählte schon bei der WM 2022 in Katar zur Kommentatoren-Riege. Die frühere Nationaltorhüterin Almuth Schult (33) überzeugte bereits bei der EM 2021 und saß auch als Co-Kommentatorin am Mikrofon.
Expertinnen wie Schult, "die sich in ihrer Sportart so gut auskennen und ihre eigenen Erfahrungen mitbringen, können Spieltaktiken, Aufstellungen, Spielertypen oder Spielzüge beim Fußball genauso analysieren wie ihre männlichen Kollegen", betonte Balkausky. Eine derartige Entwicklung ist auch beim ZDF zu erkennen. (Sedlaczek bei der EM mit Nagelsmann und Schweinsteiger. Foto: Markus Gilliar/GES-Sportfoto/augenklick)
Es sei "erfreulicherweise selbstverständlich geworden, dass die kompetente journalistische Begleitung des Profifußballs keine Frage des Geschlechts ist", sagte ZDF-Sportleiter Yorck Polus dem SID. Seit mehr als 15 Jahren ist Kathrin Müller-Hohenstein (58) ein Sportgesicht des Senders, Claudia Neumann (60) sitzt seit der EM 2016 bei großen Turnieren für das ZDF am Mikrofon. Bei der Heim-EM setzte der Sender mit Kromp, Nationalspielerin Laura Freigang und Kathrin Lehmann zudem drei verschiedene Expertinnen im Studio ein.
Als Frau habe sie "früh nach Vorbildern gesucht", erzählte Kromp in einem Podcast. Sie hatte Ende 2022 erste Auftritte als WM-Expertin für das ZDF-Morgenmagazin und das Mittagsmagazin. Nun habe sie "Freude daran, wenn es andere heute leichter haben als ich es hatte". Zumindest in der TV-Berichterstattung werden weibliche Vorbilder immer präsenter.
Bei der Entwicklung zu mehr Diversität bei TV-Übertragung geht auch das Mutterland des Fußballs voran. Die ehemalige Nationalspielerin Alex Scott analysiert seit Jahren Frauen- und Männerspiele für Sky Sports und die BBC. 2018 in Russland begleitete sie als erste TV-Expertin in der Geschichte der BBC die Männer-WM.
"Wir werden an den Punkt kommen, an dem ich nicht mehr als weibliche Expertin angesehen werde, sondern einfach nur als Expertin", sagte Scott vor einigen Jahren und betonte: "Wenn wir an diesen Punkt kommen, sind wir auf dem richtigen Weg." Scott gehört mittlerweile zum festen Inventar der BBC, in Katar 2022 sorgte sie für Aufsehen, als sie vor dem Spiel Englands gegen Iran am Spielfeldrand die "One Love"-Binde trug. In Deutschland war sie unter anderem beim Endspiel in Berlin zwischen England und Spanien im Einsatz.
Doch Hass und Hetze bleiben den englischen wie den deutschen Journalistinnen nicht erspart. Nach der WM 2018 habe sie in den Sozialen Medien "jeden Tag" sexistische Kommentare bekommen, erzählte Scott. In Deutschland wird vor allem ZDF-Kommentatorin Neumann immer wieder Zielscheibe von Anfeindungen im Internet. "Den Austausch mit Menschen, die sich im Fußball bewegen, finde ich total spannend. Aber er muss ein gewisses Niveau und einen gewissen Anstand haben", sagt Neumann: "Und wenn das nicht funktioniert, muss ich mich selbst schützen." (Neumann-Foto: firo sportphoto/augenklick)
So verfährt auch Schult, die in den Sozialen Medien wie Neumann gar nicht erst aktiv ist. "Deswegen ist es mir relativ egal", sagte Schult, die für ihre Auftritte als Expertin viel Lob erntet – und sich über den wachsenden weiblichen Einfluss im Männer-Fußball freut.
"Es hat sich viel verändert, jetzt ist es mehr Normalität, dass Frauen dabei sind. Das ist schön, weil wir immer in der Gesellschaft von verschiedenen Blickwinkeln reden", sagte die dreifache Mutter, die zuletzt für den Zweitligisten Hamburger SV spielte.
Und wie sieht es mit männlichen Experten im Fußball der Frauen aus? "Da würde ich mich freuen", sagte Schult, "wenn sich das noch mehr männliche Kollegen zutrauen und sich dafür interessieren würden."
Lars Völkerink ist Redakteur beim Sport-Informations-Dienst (SID) in Berlin.