Mit Fußball-Podcasts verhält es sich ein bisschen so wie mit dem Fußball selbst: Am Ende hält oft Toni Kroos den Pokal in Händen. Die Branchen-Charts weisen "Einfach mal Luppen", diese Fachsimpelei zwischen Toni und Felix Kroos sowie ihren Gästen, als den beliebtesten Fußball-Podcast hierzulande aus. Und das im Prinzip, seit die Produktion von Studio Bummens vor vier Jahren gestartet ist.
Während der Vorrunde der EM schlägt "Einfach mal Luppen" tageweise sogar nicht nur die übrigen Fußball-Podcasts aus dem Feld, sondern führt die Spotify-Charts gleich ganz an. Direkt dahinter: "Copa TS", ebenfalls von Studio Bummens. Außerdem gerade sehr populär: "Das EM Update", ein Podcast der "Sportschau" im Rahmen der EURO in Deutschland.
Das Angebot an Fußball-Podcasts wird kontinuierlich vielfältiger, die Konkurrenz für "Einfach mal Luppen" größer. Mit "MeisterWERK" über die erfolgreiche Double-Saison von Bayer 04 Leverkusen und "Der vierte Stern", produziert vom kicker, waren zuletzt weitere Fußball-Shows in den Top 20 von Spotify. Diese beiden gehören einem eigenen Subgenre an: dem der Nostalgie-Shows. (Screenshot: VDS/Kroos)
Diese Podcasts schwelgen in fußballerischen Heldentaten aus früheren Tagen. "Der vierte Stern" und "Wir Weltmeister" (ARD) erinnern beide an den deutschen WM-Sieg 2014. "Das Werder-Märchen 2004", ebenfalls von der ARD, rekapituliert die Bundesligasaison vor 20 Jahren, als Werder Bremen gelang, was nun auch Leverkusen geschafft hat: der Gewinn des Doubles.
Im Fall von Werder Bremen ist das eine Recherche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der die Hörer dank seines gut gepflegten Audioarchivs das sportlich erfolgreichste Jahr des Vereins noch einmal durchleben lässt – in üppigen 44 Folgen. Mehr Episoden also, als eine Saison Spieltage hat, selbst wenn man die Pokal-Matches hinzurechnet.
Bayer Leverkusen will mit der Nostalgisierung des eigenen Erfolgs kein Jubiläum abwarten und hat die Sache deshalb gleich selbst in die Hand genommen: Im Auftrag des Vereins produziert Maniac Studios die neun Episoden von "MeisterWERK". Beschlossen wurde das damals noch recht selbstbewusste Projekt im Januar, seither hat der Autor und Sprecher Nils Straatmann das Team und den Verein begleitet. Nun, nach dem ersehnt erfolgreichen Ende der Saison, kann jeder, der das möchte, sich noch einmal die Wiederholung des soeben erst live Erlebten anhören.
"MeisterWERK" ist auch ein Indiz für die Relevanz, die Podcasts inzwischen zugestanden wird. Zumal Bayer 04 Leverkusen damit beileibe nicht alleinsteht: Im Grunde gibt es über jeden Profiklub einen Podcast, teils von den Vereinen selbst realisiert, teils von Medienhäusern – "Ka Depp" des Verlags Nürnberger Presse zum Beispiel über den 1. FC Nürnberg oder "Fohlenfutter" der Rheinischen Post über Borussia Mönchengladbach – und teils von Fans wie etwa das Ersatzfamilien-Angebot "HSV – Meine Frau". (Screenshot: VDS/Nürnberger Presse)
Überhaupt, die Titel der Shows, vor allem wenn es sich um Wohnzimmerproduktionen handelt: Fußball-Podcasts heißen "Flatterball", "Nachholspiel", "Pfosten rettet!" oder "Anstuss". Die beiden Letztgenannten setzen überdies konsequent auf Kalauer bei den Titeln der einzelnen Folgen: "Red Bull bezieht Prüüügel" und "Do or Dier" heißen die Episoden bei "Pfosten rettet!", "Wenn Bayer Leverkusen das Xabitur besteht" und "Wenn Vincent Vater der Kompany wird" bei "Anstuss".
Das ist die Hobby-Ebene dieses Podcast-Genres: Shows ohne nennenswerte Recherche-Möglichkeiten und weitgehend ohne Zugang zu den Protagonisten des Profifußballs. Dafür mit viel Meinung. In der Regel handelt es sich um Debatten auf Kneipenniveau zum Streamen. Eine Männerwelt. Wobei das auch für professionelle Produktionen gilt: In eigentlich sämtlichen Fußball-Podcasts reden männliche Hosts mit männlichen Experten und Nicht-Experten über Männerfußball. Das Publikum? Richtig geraten.
Dieser Fakt führt zu der Frage, ob es in Fußball-Podcasts tatsächlich in erster Linie um Sport geht. Oder ob da nicht podcastweise recht homogene soziale Milieus nach Selbstvergewisserung suchen. Was anderen Menschen Achtsamkeits-Podcasts sind oder Ratgebershows zu psychischer Gesundheit, sind die Fußball-Podcasts für ihr Publikum: Sie dienen der Selbstbestätigung, vermitteln ein Gefühl der Zugehörigkeit, bieten Trost, können ein Ventil sein, stärken das Wohlbefinden. Potenziell sind Fußball-Podcasts also nicht bloß unterhaltsam und mitunter sogar erhellend. Sondern haben auch eine therapeutische Funktion. (Screenshot: VDS/Sportschau)
Wie groß der Markt für dieses Genre im professionellen Segment inzwischen ist, zeigt die Vielzahl an Shows, mit denen Produktionsfirmen Geld verdienen. Studio Bummens hat im vergangenen Jahr neben „Einfach mal Luppen“ einen zweiten Podcast lanciert, "Copa TS" mit Tommi Schmitt. 360Media wiederum, ein Dienstleister im Bereich Sportmarketing, hat vergangenen September den EM-Talk "Spielmacher" gestartet. Dem Podcast ist es von Anfang an gelungen, hochkarätige Gesprächspartner einzuladen: Rudi Völler, Michael Ballack, Aki Watzke, Olaf Scholz und kurz vor EM-Start Julian Nagelsmann, mit denen Sebastian Hellmann aufschlussreiche Interviews führt. Die Fachblätter kicker („kicker Daily“) und "11 Freunde" ("Zeigler & Köster") betreiben Podcasts und natürlich auch Bild ("Reif ist live"). In MML ist aus dem Erfolg der Show "Fußball MML" eine Produktionsfirma entstanden, die sich ganz auf Fußball-Podcasts spezialisiert und inzwischen rund ein Dutzend Shows und Sonderformate im Portfolio hat.
Viel Auswahl also. Trotzdem bleibt die Beliebtheit von "Einfach mal Luppen" nach wie vor unerreicht. Weshalb das so ist, lässt sich besonders gut an der Folge "Der letzte Tanz im Bernabéu" vom 29. Mai erleben, einer Sonder-Episode aus der Reihe "Luppen on Tour": Dafür wurde die Atmosphäre im Stadion von Real Madrid aufgenommen während der letzten Minuten, die Toni Kroos für den Verein gespielt hat. Ein Gänsehaut-Moment des Fußballs, wie dieser Podcast immer wieder welche akustisch eingefangen hat. Anstatt bloß über sie zu reden.
Stefan Fischer ist Dozent in der Kulturjournalistenausbildung an der Bayerischen Theaterakademie/Hochschule für Musik und Theater und seit 1999 freier Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung. Der vorliegende Beitrag ist eine aktualisierte Fassung des Textes, der am 11. Juni in der SZ erschien.