Lokalreporter arbeiten bisweilen auch als Trennungstherapeuten. Das beste Beispiel lieferte jüngst eine Trainerentlassung in der Fußball-Bezirksliga 4 des Hochsauerlandkreises. Der betroffene Coach diktierte dem hiesigen Reporter in den Block: "Ich fühle mich wie ein verlassener Ehemann, das ist wie eine Ehe, die kaputt gegangen ist."
Das sei schon eine witzige Formulierung gewesen, sagt Philipp Bülter von der "Westfalenpost", zeige aber gleichzeitig den Stellenwert des Lokalsports – und damit der Berichterstattung.
Bülter und sein Kollege Falk Blesken haben kreative Wege bei deren Umsetzung gefunden. In einem wöchentlichen Podcast allein über diese Liga diskutieren sie über die aktuellen Geschehnisse und Ergebnisse, unterlegt mit O-Tönen der Beteiligten und Reportagen. Und das bisher in mehr als beachtlichen 160 Episoden, überschrieben mit dem herrlichen Titel "Die Bundesliga des Sauerlandes".
Lokalsportberichterstattung kann sich also auf vielen Ebenen neu erfinden – wenn es denn die Mittel gibt. Aufgrund der gestiegenen Druck- und Auslieferungskosten machen immer mehr Verlage die lokalen Zeitungen dicht oder stoppen die Zustimmungen. Von "verblühenden Landschaften" schrieb die Süddeutsche Zeitung im vergangenen Dezember. (Philipp Bülter, l., und Falk Blesken / Foto: Westfalenpost)
Hinzu kommen noch weitere Probleme, wie Bülter berichtet. Er macht ein "Nachwuchsproblem" aus, weil immer weniger junge Menschen bereit wären, Arbeitszeiten in der Nacht und am Wochenende zu akzeptieren. Diese aber sind im Lokalsport oft unabdingbar. Welche (Zukunfts-)Perspektiven und Anreize können lokale Medien nicht nur, aber auch den jungen Menschen also bieten?
Ein Projekt macht sich nun dafür stark, neue Wege im Lokaljournalismus aufzuzeigen. Das "Forum Gemeinnütziger Journalismus" fordert die Politik auf, den gemeinnützigen Journalismus rechtssicher zu machen. So war es im Koalitionsvertag avisiert worden, doch die Reform stocke, schrieb die Initiative in einem Offenen Brief im Dezember. "Gerade jetzt braucht es eine Ergänzung des Angebots für mehr Meinungsvielfalt, ohne staatliche Intervention oder Marktverzerrung", heißt es im Brief.
Doch worum geht es genau?
Mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit würden beispielsweise Start-ups im Medienbereich von einer Steuer entbunden werden, die Unterstützer könnten ihre Zuwendungen absetzen. So soll der von Stiftungen oder Spenden finanzierte Journalismus "zur dritten Säule in der Medienlandschaft werden, neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privaten Anbietern", erklärt Christoph Schurian vom Forum auf Nachfrage.
Im Prinzip, so der Plan, würden der Einstieg und die Absicherung von Medien in einem schwierigen Markt erleichtert werden. Ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu bestehenden Medien. Schurian erklärt: "Gemeinnütziger Journalismus soll keinen Profit machen und auch niemanden verdrängen. Es geht darum, in die Nische zu gehen und dort Journalismus zu fördern, wo er gefährdet ist. Wir wollen Leute befähigen, neue Projekte zu starten."
Wie bedeutend der Non-Profit-Journalismus werden kann, zeigte unlängst das Beispiel des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv: Die Redaktion enthüllte im Januar geheime Treffen von Politikern der AfD mit Rechtsextremisten und sorgte unter anderem für Demonstrationen von Hunderttausenden quer durch ganz Deutschland. Correctiv und weitere Medien haben den Aufruf des Forums unterschrieben, bislang gehören sie noch zu den Einzelbeispielen mit anerkannter Gemeinnützigkeit.
"Darin liegt das Problem: Wir haben keine Rechtssicherheit", führt Schurian vom Forum weiter aus. „Da besteht eine Abhängigkeit von der jeweiligen Finanzbehörde." Tiefergehende Gespräche mit der Bundesregierung stehen noch aus – nach dem Offenen Brief hat sich am Status Quo nicht viel geändert. Dabei drängt im Moment des Zeitungssterbens die Zeit für Innovationen.
Auch Dr. Stephan Weichert hat den Offenen Brief unterschrieben. Er ist einer der Autoren eines Arbeitsheftes der Otto-Brenner-Stiftung aus dem Oktober 2023 zum Thema. "Non-Profit-Journalismus könnte zum Game Changer für den Journalismus werden, wenn sich die Förderkulisse und Spendenbereitschaft in Deutschland in den kommenden Jahren radikal wandelt", schreibt Weichert.
Für die Unterstützung des Lokaljournalismus könnten lokale Stiftungen eine enorme Bedeutung im Überlebenskampf bieten. Man brauche "im Idealfall eine Stiftung direkt vor Ort", berichtete einer der Mitgründer des lokaljournalistischen Start-ups "Karla" gegenüber dem Portal Übermedien von seinen Erfahrungen. Das "Forum Gemeinnütziger Journalismus" will hierbei auf Transparenz setzen, um den Vorwurf einer Abhängigkeit entgegenzutreten. Nur 0,5 Prozent der Stiftungen in Deutschland engagierten sich im journalistischen Feld, so die Initiatoren. Dies könnte sich durch die anerkannte Gemeinnützigkeit ändern. Und neue Kräfte freisetzen.
Christoph Schurian vom Forum glaubt, dass im Sportjournalismus so auch die Vielfalt der Inhalte gestärkt würde. "Die Zentrierung auf den 'großen Fußball' könnte durchbrochen werden", meint Schurian. Die Idee dahinter: Es geht bei der Themenauswahl nicht mehr nur um die meisten Klicks und die Verkäufe, sondern vorrangig um die besten Geschichten. Und die herzerwärmenden wie traurigen Storys werden häufig eben abseits der Bundesliga geschrieben. Wie zum Beispiel in der Bezirksliga im Hochsauerlandkreis.
Ron Ulrich (38), ist freier Jorunalist. Von Frankfurt/Main aus arbeitet er u.a. für Spiegel, HR, Zeit.
Weiterführende Links:
Zum Forum Gemeinnütziger Journalismus geht es hier.
Zu Christoph Schurian geht es hier.
Zur "Bundesliga des Sauerlandes" geht es hier.