Es ist seltsam: Da gibt es Medienschaffende im Bereich Fußball, die haben eine ungeheuer große Reichweite, aber dennoch herrscht in der Behandlung des gar nicht mehr sooo neuen Phänomens "Vlogger" das große Schweigen bei den klassischen Institutionen des deutschen Profifußballs. Bayern München, die ARD, der HSV – sie alle ließen Anfragen dazu kommentarlos unbeantwortet, die DFL gab immerhin ein grundsätzliches Statement ab. Was ist da also los?
"Vlogger" ist eine Wortspielerei aus Video und Blogger. Es handelt sich um meist junge Menschen, viele aus der E-Sports-Szene, die mit ihrem Handy Stadien besuchen und Filmchen von ihren Erlebnissen dort machen. Die veröffentlichen sie dann in sozialen Netzwerken, vor allem bei YouTube, TikTok oder Instagram. Ein Muster ist immer, dass der Vlogger sich selbst im Selfie-Mode ins Bild setzt – seht her, ich bin wirklich dabei!
Der deutsche "Star" der Szene ist "ViscaBarca", im bürgerlichen Leben Anton Rinas. Der hat bei YouTube 1,82 Millionen Abonnenten und über 1000 Videos veröffentlicht. Wie viele Influencer tatsächlich deutschlandweit ihre Beiträge im Internet hochladen, ist kaum abzuschätzen.
Praktisch immer wird bis an die Grenze des Erträglichen positiv emotionalisiert. "Geil! Krass! Unglaublich!" Das betrifft Choreos mit Pyro, die gerne gezeigt werden, die Reaktionen von Fans im Umfeld, aber auch Spielszenen, die immer wieder ebenfalls eingefangen und veröffentlicht werden. Und spätestens hier wird die Geschichte richtig spannend. Denn Bewegtbilder von den Spielen zu zeigen, ist nur Rechte-Inhabern erlaubt. Und oft auch mit zeitlichen Einschränkungen. (Foto YouTube/ViscaBarca: Screenshot sj)
Die DFL verkauft diese Rechte für teures Geld, selbst die Klubs können auf ihren eigenen Medienseiten erst Tage nach dem Spiel Ausschnitte zeigen. Wenn Verlage, die solche Rechte nicht haben, ähnliche Szenen auf ihren Webseiten zeigten, gäbe es sofort Ärger. Das ist sicher.
Doch auch wenn sie Bewegtbilder von Spielszenen zeigen, ist die Toleranz gegenüber Vloggern erstaunlich groß. Die DFL ist der Meinung, sie müsse mehr jugendliches Publikum für Fußball begeistern, die zunehmend Gefallen an Sportarten wie Basketball finden und denen Fußballspiele oft einfach zu lang sind. Weiterhin soll die internationale Wahrnehmung der Marke Bundesliga gestärkt werden. Mit dieser Begründung wurde ja auch für den von Fans abgelehnten Investorendeal geworben.
"Im Bereich Global Marketing arbeitet die DFL vereinzelt und insbesondere mit Fokus auf internationale Märkte mit Influencern zusammen, vor allem, um die internationale Wahrnehmung der Bundesliga unter jungen Fans zu steigern", erklärte die Liga auf Anfrage: "Hierbei werden für etwaige kurze Bewegtbild-Sequenzen aus den Stadien Nutzungsrechte, die mit den Verträgen mit den weltweiten Medienpartnern der Bundesliga vereinbar sind, im Vorfeld klar abgestimmt."
Nun ja. Von einem "Graubereich" in der Handhabung des Themas sprechen mittlerweile viele Klubs. Eine klare und transparente Strategie der Liga gibt es noch nicht. Derzeit handeln die Vereine offenbar überwiegend nach eigener Einschätzung. Dies soll sich jedoch bald ändern. "Das Thema Stadion-Vlogs werden Liga und Klubs zeitnah zusammen besprechen, um sich auf eine ganzheitliche gemeinsame Strategie zum weiteren Umgang mit dieser Thematik zu verständigen. Dem möchten wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorgreifen", heißt es vonseiten der DFL.
Borussia Dortmund legt Wert darauf, "keine Akkreditierungen an externe Videoblogger" zu vergeben und "sich jederzeit an die Regularien der Deutschen Fußball Liga" zu halten. "Wir können jedoch nicht verhindern, dass Partner des BVB – etwa im Logenbereich – Influencer oder Videoblogger einladen, die sich ggf. nicht an die Regeln halten", teilte der BVB mit. Auch der FC St. Pauli, den "ViscaBarca" beim Stadtderby gegen den HSV besuchte, betont, dass der Vlogger "keine Akkreditierung" hatte.
Klickt man auf den entsprechenden Beitrag über das Derby bei YouTube, erwarten den interessierten Fußballfan zunächst eine Werbung für Tiefkühlpizza und für einen sicherlich betörenden Frauenduft, bevor es losgeht. Und zwar, wie sehr häufig, mit einer lobenden Erwähnung des Hotels, wo der Vlogger vor dem Spiel abstieg. Ein Hobby ist das alles längst nicht mehr, vor allem wenn jemand praktisch jede Woche irgendwo in Europa in einem Stadion sitzt und alles super-duper-krass findet.
Dementsprechend gibt es auch Agenturen, die die Interessen zahlreicher Influencer vertreten. Aber nicht so gerne mit klassischen Medien kommunizieren. Kritische Fragen passen nicht zum Geschäft. (Foto Vlogger/YouTube: Screenshot sj)
Das NDR-Medienmagazin "Zapp" bekam auf seine Nachfrage ebenso eine Absage wie das Hamburger Abendblatt. "Aktuell sieht es so aus, dass die Presse eher auf die Stadion-Vlogger draufhauen möchte, anstatt das mal ordentlich zu recherchieren", begründete die Agentur Ciberdime das Schweigen. Zum im Raum stehenden Verdacht von Schleichwerbung und Ähnlichem gab es keine Auskunft.
Bei einigen Beiträgen wird inzwischen auf "Werbung" immerhin hingewiesen. Es gibt auch Quizspiele und Gewinnmöglichkeiten. Ganz eindeutig handelt es sich für manche Akteure um eine mindestens semiprofessionelle Tätigkeit und nicht mehr um ein simples Hobby ohne Gewinn-Erzielungsabsicht.
"Zapp" hatte in seinem Beitrag schon im Mai zudem darauf hingewiesen, dass die DFL und einige Vlogger gemeinsam Kunden von Athletia Sports seien, die laut eigener Aussage Deutschlands größtes YouTube-Sport-Netzwerk betreibt. Da wäscht eine Hand offenbar die andere.
"Keine Influencer in den Volkspark" – mit diesem Sticker haben HSV-Fans längst ihre Haltung klargemacht. Der Verein hat sich nicht geäußert. "Influencer rauswerfen und nicht hofieren", fordern auch die St.-Pauli-Ultras. Der Zwiespalt aber ist überall klar: Auch die Klubs suchen Wege, um ihre Popularität zu vergrößern, neue Kundengruppen zu gewinnen.
Die traditionellen Fans wollen jedoch "echte Emotionen" und keine Vlogger, die sich nicht für die Klubs interessieren, in deren Kurve sie stehen, sondern nur für das Event. Die während des Jubelns sofort in ihr Handy quatschen: "Leute, geil, boah."
Die DFL hat am 15. Januar die Ausschreibung ihrer medialen Vermarktungsrechte für die Saisons 2025 bis 2029 angekündigt. Dabei soll es ausdrücklich auch um "Verwertungsrechte für digitale Werbe- und Informationssysteme" gehen. Der dort bestehende "Graubereich" soll sicherlich beseitigt, Klarheit geschaffen werden. Und vielleicht endet dann auch das Schweigen, die Ungewissheit oder die Toleranz vieler derzeit Betroffener.