Anfang Dezember hat Alexander Laux einen wichtigen Termin in München. Im Rahmen der ISPO, der bedeutendsten Sport-Artikel- und -Business-Messe in Deutschland, soll der Sportchef des Hamburger Abendblatts auf dem begleitenden Branchengipfel "Sport, Marke, Medien" einen Vortrag halten. Über ein bislang in Deutschland einmaliges Projekt für ein Zeitungshaus, das er im vergangenen Jahr erdacht und mit Hilfe vor allem von zwei Mitarbeitern des Abendblatts umgesetzt hat: "Wolfsrudel" – eine siebenteilige Dokumentation über die Regionalliga-Saison der Fußballer des Hamburger Amateursportvereins Eimsbütteler TV, die seit Anfang September im Stream auf YouTube und bei abendblatt.de abrufbar ist.
Nun sind Langzeit-Sportdokumentationen nicht neu. "Ich schaue die selbst sehr gerne", sagt Laux, "'Sunderland 'til I die' ist eine meiner Lieblingsserien." Die Inspiration ist also klar: Man müsste mal, man könnte doch. Laux erzählt, wie bei einem rotweinträchtigen Abend mit seinem Vorgänger Peter Wenig der Entschluss reifte, diese Idee konkret anzugehen. Und damit etwas Neues zu wagen: Amateurkicker, die binnen zwei Spielzeiten aus der Landes- über die Ober- in die Regionalliga durchmarschiert sind, hat noch niemand so eng dokumentiert – und eine traditionsreiche Zeitung, die sich mitten im Transformationsprozess zu einem multimedialen Anbieter befindet, schon gar nicht.
"Das Konzept passte auf eine DIN-A4-Seite", sagt Laux. Damit ist er zu Cordula Schmitz gegangen, die als stellvertretende Chefredakteurin des Abendblatts die digitalen Aktivitäten verantwortet, "sie fand es super". Bei Frank Fechner, dem Vorstandschef des 20.000 Mitglieder großen ETV, hat die Idee "voll ins Schwarze getroffen". Fehlte nur noch das "Go" von der Funke Mediengruppe, zu der das Abendblatt gehört. Das gab Till Rixmann, der Leiter Produkt-Innovation und Abo-Gewinnung, im April 2023 – "und dann sind wir ins kalte Wasser gesprungen". (Die Macher des "Wolfsrudels" v.l.n.r.: Frederik Kastenberg, Axel Leonhard, Alexander Laux / Fotos: Hamburger Abendblatt)
"Wir" sind neben Laux vor allem der Abendblatt-Videoredakteur Axel Leonhard und Frederik Kastberg, der als freier Mitarbeiter für das Projekt engagiert wurde. Mit Kamera und Ton waren vor allem die beiden Letzteren danach beim ETV fast immer dabei. "Am Anfang war das für die Spieler natürlich sehr ungewohnt, es hat so zwei, drei Monate gedauert, bis sie sich an uns gewöhnt hatten", erinnert sich Laux, "der Eisbrecher war, als wir ihnen die Rohfassung des ersten Teils vorgespielt hatten, am Ende durften wir überall mit hin." Das Vertrauen war da, die Türen standen offen – "anders als bei Proficlubs, da sind die Türen irgendwann zu.“
Beschrieben wird der gesamte Kosmos rund um die Mannschaft, also auch Ehrenamtler, wie die Teambetreuer, die Abteilungsleitung. Herausgekommen sind am Ende sieben Teile mit ingesamt 250 Minuten Spieldauer in Ultra-HD-Qualität. Ein Zehntel des gesamten Materials, das auf 15 Terrabyte gespeichert ist.
Es gibt das ganze Spektrum von Emotionen, Interviews, Spielszenen, Siegen, Niederlagen, private Einblicke, Verletzungen, persönliche Konflikte und Entscheidungen in einer schwierigen Saison. Der Underdog aus Eimsbüttel, der finanziell das Schlusslicht der Liga war, kämpfte – schließlich vergeblich – um den Klassenerhalt gegen teilweise professionell aufgestellte Fußballvereine. "In der Rückrunde waren sie konkurrenzfähig", sagt Laux, "als die Mannschaft die ersten fünf Saisonspiele verloren hatte, kamen allerdings Zweifel."
Diese wurden zum Glück verdrängt. "Der Serie ist es gelungen, alle Facetten des Amateurfußballs sehr realistisch abzubilden, noch dazu mit einer beeindruckenden Qualität", sagte Frank Fechner nach der Premiere der ersten beiden Folgen vor 100 geladenen Gästen in einem Hamburger Kino. Die Qualität ist auch deshalb so hoch, weil für externe Produktionskosten ein mittlerer, fünfstelliger Betrag fällig wurde. Cutter, Sounddesign, Drohnenkameras und Farbbearbeitung wurden extern eingekauft, um optimale Qualität zu gewährleisten. "Ein großer Erfolg war, dass wir eine Bank als Hauptsponsor gewinnen konnten", sagt Laux, "sonst wäre das so auch nicht möglich gewesen."
Nach drei Tagen "on air" war der Trailer für die Serie bereits 25.000 Mal angeschaut worden. Nach einer Woche schauten 10.000 Menschen die (kostenfreie) erste Folge. Der Start für dieses Medien-Experiment war also ermutigend für die Macher, die erst nach einem halben Jahr eine genaue Analyse vornehmen wollen. Denn natürlich geht es nicht in erster Linie darum, den bereits vorhandenen Abonnenten ein Zusatzangebot zu machen. Die ersten beiden Folgen sind frei, die weiteren kann man bei abendblatt.de nach Abschluss eines Probe-Abos (9,90 Euro) für drei Monate ansehen. "Wir wollen auch Leute gewinnen, die das Hamburger Abendblatt bisher nicht so nutzen", so Laux, "wir wollen neue Kunden gewinnen."
Das wird auf Sicht auch nötig sein. Auch beim Abendblatt überaltert der Kundenstamm der "klassischen" Printabonnenten. Von 250.000 gedruckten Exemplaren im Jahr 2011 ist aktuell noch eine Auflage von 100.000 übrig. Jüngere Leute sollen die Marke Abendblatt besser kennenlernen: Die Vermarktung der Serie läuft deshalb auch intensiv über diverse Social-Media-Plattformen, Reels, Stories, Links und so fort.
Dazu könnte das Projekt auch für die "lokalen Märkte" eine Lokomotive sein. Was im eigenen Stadtteil passiert, das interessiert Menschen, die Information darüber ist eine wichtige Aufgabe eines lokalen Mediums und wird zunehmend wichtiger. Der Hamburger Stadtteil Eimsbüttel allein hat übrigens rund 58.000 Einwohnende, der Bezirk 280.000. Da ist natürlich Potenzial.
"Wir hoffen, mit der Serie viele neue Abonnenten zu gewinnen", sagt auch Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider, der in einem Interview mit newsroom.de darauf hinweist, dass das Abendblatt mit rund 30 Podcasts das größte Angebot aller Lokalzeitungen hat und Geld damit verdient. Dennoch ist die Sport-Dokumentation natürlich auch für die gesamte Funke Mediengruppe ein hochspannendes Experiment, wie neue Medien für eine Lokalzeitung funktionieren können – oder auch nicht. Es wird also spannend sein, was Alexander Laux im Dezember zu berichten hat.