Etwa in der 75. Minute leuchtete an der großen Anzeigetafel im Volksparkstadion zur Bestätigung die Zuschauerzahl auf – wie immer bei Heimspielen des Hamburger SV. 57.000, ausverkauft! Tatsächlich. Der deutsche Rekord für ein Frauenfußballspiel zweier Vereinsteams war eindrucksvoll verbessert. Zusätzlich verfolgten 350.000 Fans das Match bei Sky sowie 300.000 im Online-Stream des ZDF: Das DFB-Pokalhalbfinale zwischen dem HSV und Werder Bremen (1:3 n.V.) vom 23. März wird als Meilenstein in die deutsche Sportgeschichte eingehen.
"Für diese Kulisse und diesen Respekt haben Legenden wie Birgit Prinz und Bärbel Wohlleben gekämpft", erklärte stellvertretend für viele die gelernte Sportjournalistin und langjährige Berichterstatterin vom Frauenfußball, Inga Radel, auf LinkedIn: "Ich mochte die guten, wenig kommerziellen, alten Zeiten, aber die neuen Zeiten sind auch toll! Und so verdient!"
Nun besteht kein Zweifel, dass dieser Erfolg nur durch dieses spezielle Los möglich war. K.o.-Spiel um den Finaleinzug, Zweitligistin empfängt Bundesligistin, das ist schon gut. Und dann noch: HSV gegen Werder. Seit sich die Wege der Männermannschaften mit dem Abstieg der Hamburger 2018 in Liga zwei getrennt haben, gab es dieses Spiel nur bei Werders Zweitliga-Intermezzo im Februar 2022. Es bleibt dennoch eine der intensivsten Rivalitäten im deutschen Fußball, eines der "großen" Derbys. Die Voraussetzungen waren also außergewöhnlich gut. (Foto Hardt: privat)
So wurde es tatsächlich Werbung für den Fußball von Frauen. Daraus aber nun einen Trend abzuleiten, wäre fatal. Das zweite Halbfinale zwischen Bayern München und der TSG Hoffenheim fand vor 2500 Zuschauern auf dem Campus des FC Bayern statt. Der Zuschauerschnitt in der Bundesliga liegt in dieser Saison Ende März bei 2376. Der HSV empfängt in der 2. Liga durchschnittlich 447 Besucher*innen. Das hat nichts zu tun mit Boom oder Ähnlichem. Wer entsprechende Schlüsse aus vereinzelten Events zieht, der ist auf dem Holzweg. Wobei das gegenüber den Männern geringere Interesse kein Problem speziell beim Fußball ist. Beispiel: Der Zuschauerschnitt in der Handball-Bundesliga der Frauen lag Ende 2024 bei 1307. In der Volleyball-Bundesliga waren es vergangene Saison immerhin 1441.
Das alles kann eigentlich nur besser werden. Tatsächlich haben weltweit tätige Vermarkter wie die Agentur "Sportfive" Frauensport als eines der größten Investmentthemen für die Zukunft ausgemacht. Einer Studie der Sportberaterfirma "The Sports Consultancy" zufolge soll sich der weltweite Markt im Frauensport bis 2030 knapp verdreifachen – im Gegensatz zu vielen Disziplinen im Männersport, bei denen das Wachstum bereits ausgereizt ist.
Eine Umfrage in acht wichtigen Märkten auf der ganzen Welt (USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, Australien und Neuseeland) ergab, dass 84 Prozent der Sportfans an Frauensport interessiert sind. 42 Prozent der Sponsoren investieren einer US-Studie zufolge in Frauensport, weil sie sich dadurch Zugang zu einer neuen Kundenzielgruppe erschließen wollen. Denn tatsächlich werden 80 Prozent aller Kaufentscheidungen von Frauen getroffen. Das wissen die Ehemänner nur nicht…
Sich groß zu machen statt sich klein zu verkaufen ist deshalb auch die richtige Strategie. Der DFB hat die Aufstockung der Bundesliga auf 14 Klubs beschlossen, "um die Professionalisierung des Frauenfußballs in Deutschland weiter voranzubringen". Ab der Saison 2025/26 fordert der Verband für die Bundesliga, in die der HSV aufsteigen möchte, Stadien mit mindestens 5000 Plätzen.
Da ist es ein schlechter Witz, dass in Hamburg ein neues Stadion von der Stadt gebaut wird, das exakt 4909 Plätze fasst. Aber hey, die HSV-Frauen füllen doch den Volkspark. Also: Alles wird gut beim Frauensport. Überall. Weil das gewollt wird. Glauben wir einfach dran.
Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.