Je näher die Olympischen Spiele in Paris kommen, desto mehr schmerzt es wieder, es kommen die Erinnerungen zurück und der Ärger über eine vergebene Chance. Paris 2024, das waren "unsere" Spiele. In Hamburg und für Deutschland. Ein überragendes Konzept, das mit großer Sicherheit sehr gute Chancen gehabt hätte, den Zuschlag wenn nicht für 2024, dann doch für 2028 zu bekommen.
Aber, es gewann die Verzagtheit, die Provinzialität, die Sport-Uninteressiertheit, und letztlich fehlte auch die bedingungslose Unterstützung der Politik. Wo der SPD-Bürgermeister Scholz der Freien und Hansestadt mit dem Bundesfinanzminister Schäuble von der CDU Scharmützel ausfocht, wer, was, wie und warum zu zahlen hatte. Dazu die Totalverweigerer, die ihre Litanei von IOC-Bonzen sangen, für die Luxushotels und eigene Fahrspuren in der Stadt reserviert werden müssen. Und dann verliert man plötzlich ein Referendum in der Stadt über die Bewerbung am 29. November 2015 mit 51,6 gegen 48,4 Prozent der Stimmen. Bei einer Wahlbeteiligung von 50,2 Prozent.
Wer hat eigentlich darüber abstimmen lassen, ob "das Volk" jetzt die Fußball-Europameisterschaft austragen möchte? Ach, niemand? Das wurde einfach so entschieden. Obwohl die Einschränkungen für die Bewohner in den zehn Austragungsstätten zum Teil erhebliche sind. Gesperrte Zufahrtsstraßen zu den Stadien, gesperrte Straßen rund um Trainingsgelände und Quartiere der Teams. Polizei-Heere, die sich mit Hundertschaften aus aller Herren Bundesländer auf bürgerkriegsähnliche Zustände vorbereiten. Man weiß ja nie, allzeit bereit. Besser ist das. Hat die Gewerkschaft der Polizei eigentlich schon eine Beteiligung an den Mehrkosten von DFB und der UEFA gefordert, wie sie es mantra-artig gegenüber den Fußball-Bundesligisten tut? (Hardt-Foto: privat)
Aber hey, das ist Fußball. Fußball ist anders. Wir alle wollen Fußball. Sommermärchen reloaded, was soll man da abstimmen mit Referendum?! Da fragt auch niemand nach den Funktionärsstrukturen, so wie bei Olympischen Spielen. Höchstens, wenn ein WM-Turnier in einem autoritären Regime am Golf ausgetragen wird. Nein, Fußball ist Konsens und Staatsräson, Olympische Spiele sind es nicht.
Deshalb verwundert die Hartnäckigkeit, mit der der DOSB nun nach sieben gescheiterten Anläufen wieder eine Bewerbung versucht. Diesmal mit einem neuen Konzept, Sportstätten sollen schon vorhanden sein, Austragungsorte können deshalb auch gerne hunderte Kilometer auseinanderliegen. Aus dem Quintett München, Hamburg, Berlin, Leipzig sowie Rhein/Ruhr werden mindestens zwei als Co-Veranstalter ausgewählt. Das sei dann nachhaltig.
Vor allem ist das Käse. Olympia gehört in einen Großraum, ein Fest für alle, für Zuschauer und Bürger. An unterschiedlichen Orten ausgetragene Weltmeisterschaften einfach Olympia zu nennen, ist nicht dasselbe.
Das ist ein wichtiger Punkt, der viel zu wenig kommuniziert wird. Wie hundertmal gesagt, wer jemals das Privileg hatte, an den Spielen teilzunehmen, ob als Aktiver, Trainer, Funktionär, Fan oder medialer Beobachter, wird nicht gegen die Austragung der Olympischen Spiele sein. Leider war die Mehrheit der Abstimmenden noch nicht selbst bei den Fünf-Ringe-Wettkämpfen vor Ort. Wat de Buer nich kennt…
Und schon formieren sich wieder die üblichen Bedenkenträger mit den immer gleichen Argumenten. Die Stadt sei zu klein, sagte eine grüne Europa-Kandidatin neulich in Hamburg. Der Verkehr, und die vielen Menschen, wo doch schon so viele Touristen kommen, und wer profitiert eigentlich? Man kann es nicht mehr hören.
Die Befragung der Bevölkerung, ursprünglich avisiert für Spätsommer 2024, ist nun erst für 2025 angedacht. Da kann man vielleicht noch mehr gute Argumente präsentieren. Und wenn’s dann wieder scheitert, dann können wir uns ja für die Fußball-WM 2038 bis 2046 bewerben. Ohne das Volk abstimmen zu lassen, das ist praktisch und "Fußball ist unser Leben".
Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne "Hardt und herzlich" für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.