Mr. Snooker hört auf: Ein Gespräch mit Rolf Kalb

"Ich habe meinen Traum leben dürfen"

03.06.2024

Der langjährige Eurosport-Kommentator spricht mit Katrin Freiburghaus über seinen Abschied, das goldene Fernsehzeitalter und Statik.

 

Rolf Kalb, 64, war die deutsche Stimme des Snooker. Der studierte Informatiker und Mathematiker begann seine Laufbahn parallel zu seinem Studium als Pressesprecher der Deutschen Billard-Union. Er war für WDR und ZDF tätig. Seit 1989 bis zu seinem Rentenantritt in diesem Frühjahr kommentierte er für Eurosport unter anderem Tanzen und Rudern, vor allem aber: Snooker. Beim German Masters hatte er zudem eine Doppelfunktion als Kommentator und Master of Ceremonies inne. Er ist Autor mehrerer Sachbücher. Mit Katrin Freiburghaus blickt er zurück.

sportjournalist: Herr Kalb, für viele ist Snooker in Deutschland untrennbar mit Ihrem Namen verbunden. Haben Sie selbst gespielt – und für den Ruhestand einen Tisch zu Hause?

Rolf Kalb: Über den ersten Teil der Frage breite ich gerne den gnädigen Mantel des Schweigens. Tanzen habe ich mit meiner Frau selbst betrieben, aber zum Snooker bin ich nicht aus dem Spiel heraus, sondern als Journalist gekommen. Für einen Snooker-Tisch hätte ich gar nicht ausreichend freie Fläche im Haus, dafür braucht man ungefähr fünf mal sieben Meter. Es gibt noch andere Tücken: Wer das für sich in Erwägung zieht, sollte vorab unbedingt einen Statiker kontaktieren. Allein der Tisch wiegt knapp anderthalb Tonnen. Unter dem grünen Tuch, das kein Filz, sondern hochfeines Kammgarn ist, verbirgt sich nämlich eine fünf Zentimeter dicke Schieferplatte.

sj: Wie landet man ohne persönlichen Bezug bei einer in Deutschland damals quasi unbekannten Sportart?

Kalb: Ich war Halbwaise, es war nicht viel Geld da, und ich brauchte einen Job, um studieren zu können. So kam ich zum Deutschen Billard Bund, dem Vorgänger der Deutschen Billard-Union. Ich habe Kontakte nach England geknüpft und mir von den großen Turnieren VHS-Bänder schicken lassen. In Gütersloh bin ich zur Bahnhofsbuchhandlung gefahren, um englische Tageszeitungen zu holen – die kamen damals mit dreitägiger Verzögerung. Und als es Eurosport ins Programm genommen hat, lag es nahe, dass ich das kommentiere.

sj: In den Anfangsjahren mussten Sie mehr erklären als kommentieren – wie hat sich Ihre Arbeit über dreieinhalb Jahrzehnte verändert?

Kalb: Ganz zu Beginn habe ich wirklich erklärt: roter Ball, dann einer von den Farben, dann wieder ein roter – absolute Basics. Das wurde immer weniger. Dabei spielte das Internet eine wesentliche Rolle. Als ich angefangen habe, hatte ich als gut vernetzter Journalist einen natürlichen Informationsvorsprung vor den Zuschauern. Mittlerweile sind alle Informationen im Netz verfügbar – und gerade die Hardcore-Fans suchen und finden die auch. Die Herausforderung der vergangenen zehn Jahre bestand darin, auch diesen Fans noch etwas Interessantes zu bieten. Das machte die Vor- und Nachbereitung und das Pflegen meiner Datenbank aufwändig. Es wird jeden Tag irgendwo auf der Welt Snooker gespielt – das Spiel hat mich an 363 Tagen im Jahr beschäftigt, nur Weihnachten und Neujahr war Pause. (Foto: Guido Hermann/Eurosport)

sj: Das verwundert Außenstehende vermutlich genauso wie Ihre Entscheidung, nach einem Mathe-Studium Sportjournalist zu werden...

Kalb: Da gab es Diskussionen. Meine Frau wusste aber, mit welcher Leidenschaft ich dabei war. Deshalb hat sie zugestimmt, mir ein Ultimatum gestellt, und gesagt: "Wenn es in zwei Jahren nicht geklappt hat und du bei den Medien bleiben willst, musst du halt Zeitungen austragen." Ich habe nie Zeitungen ausgetragen.

sj: Wäre ein solcher Werdegang heute noch möglich?

Kalb: Kaum. Für mich war es genau die richtige Entscheidung, ich habe bei Eurosport meinen Traum leben dürfen. Aber es waren andere Zeiten. Ende der Achtziger entstanden viele neue Fernsehsender, die mit Sport ein Publikum locken wollten. Insofern war es einfach ein sehr günstiger Zeitpunkt. Dass einen heute jemand von der Straße weg verpflichtet und sagt: Du komm, mach einfach mal, wir gucken dann – das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

sj: Während es keinen deutschen Star im Spielerfeld gab, wurde Ihre Abschiedsformel "Ihr/Euer Rolf Kalb" unter Fans ikonisch. Ist das eine Anerkennung, oder hat Sie das mal gestört?

Kalb: Wer freut sich nicht darüber, wenn Leute sagen, dass man einen guten Job macht? Aber der Sport stand immer im Vordergrund, und den tragen die Spitzenspieler. Wenn ich als Kommentator etwas beitragen kann – schön. Aber ich kann so fasziniert sein wie ich will: Wenn das Geschehen auf dem Tisch nicht interessant ist, nützt das nichts. Dass sich von den Top 16 so viele Spieler persönlich zu meinem Abschied geäußert haben, hat mich tief berührt. Damit hatte ich nicht gerechnet, das ist für mich ein Schatz, den ich für immer in meinem Herzen bewahren werde.

sj: Wie schafft es Snooker, sich in der Sportlandschaft zu behaupten?

Kalb: Ich weiß, dass es irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt, weil es eine ruhige Bildsprache hat, keine Wackelkamera, keine hektischen Schnitte. Aber dafür gibt es offenbar Bedarf. Es ist für viele eine Oase der Ruhe in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt. Anders als in vielen anderen Sportarten haben Zuschauer zudem die Möglichkeit, eine emotionale Beziehung zu den Akteuren aufzubauen. Sie gucken den Spielern ins Gesicht und sehen dort den Stress, die Freude, die Anspannung. Vielleicht ist ein Spieler sympathisch, vielleicht das Gegenteil – in jedem Fall schafft das eine Verbindung.