Verein Münchner Sportjournalisten

Michael Gernandt zum 85. – Einmal Sprinter, immer Sprinter

17.01.2024

Er war selbst ein erfolgreicher Leichtathlet, prägte die Sportredaktion der Süddeutschen Zeitung. Am 17. Januar wurde Michael Gernandt, Mitglied des Vereins Münchner Sportjournalisten, 85 Jahre alt.

Autorin: Doris Henkel

„Ach, ich hab was vergessen, muss noch mal ins Haus.“ Spricht’s, steigt aus dem Wagen und trabt los. Locker, leicht. Schon klar, denkt die Begleitung – einmal Sprinter, immer Sprinter. Kein Europarekordler mehr, aber nach wie vor fix und elegant. Dem Vernehmen nach feiert Michael Gernandt am 17. Januar seinen 85. Geburtstag, aber irgendwas kann da nicht stimmen mit der Optik. Er ist nicht der Typ, der mit seinem Aussehen und seiner Form kokettieren würde, aber er weiß, dass sich alle wundern und fragen, wie er das macht. „Bewegen, bewegen, bewegen“, sagt er.

Erledigt, solange es das Wetter zulässt. Fast alle Wege mit dem Fahrrad, ist oft zu Fuß unterwegs. Und vor zehn Jahren hat er wieder mit dem Bergwandern begonnen. Meran im Frühjahr und im Herbst, Fünf-Stunden-Touren in der Texel-Gruppe bis auf 1800 Meter oder sogar ein bisschen höher. Manchmal staunt er selbst, wie er das schafft und klopft sich am höchsten Punkt der Tour auf die Schulter (Logo: Verein Münchner Sportjournalisten).

Viele Wege sind die gleichen wie früher, aber sie fühlen sich anders an, nicht nur in den Bergen. Seit dem Tod seiner Frau Erika im Sommer 2021 ist er oft allein unterwegs, lebt auch allein im Daglfinger Reihenhaus, in dem sie Seele, Motor und Mittelpunkt gewesen war. Die Familie mit den beiden Töchtern, Schwiegersöhnen und drei Enkeln hat ihn aufgefangen.

Sport war in dieser Familie immer ein großes Thema, natürlich vor allem die Leichtathletik; wie sollte es anders sein bei einer Olympionikin im Speerwurf (Rom 1960) und einem der besten deutschen Sprinter seiner Zeit, der ohne eine Verletzung kurz zuvor auch in Rom dabei gewesen wäre.

Doch schon eine ganze Weile steht nun Hockey ganz oben, ausgelöst von den 19 Jahre alten Zwillingen seiner jüngeren Tochter, die in den U21-Nationalmannschaften zum besten Nachwuchs des Landes gehören. „Wenn sie Glück hat und dran bleibt“, sagt Gernandt über Enkelin Paula, „dann ist sie sicher eine Olympia-Starterin 2028. Hier werden schon Träume geträumt, dass sie das erreicht, was ihre Großmutter bisher als einzige in der Familie geschafft hat.“

Auf privater Ebene hält er Verbindung zur Leichtathletik, macht sich als Mitglied des Fördervereins „FREUNDE der Leichtathletik“ ein paarmal im Jahr auf Reisen zu nationalen und internationalen Veranstaltungen. In diesem Kreis wird heftig diskutiert und kritisiert, auch zuhause am Telefon oder per Mail. Aber nur da.

Nach Beginn seiner Rente hatte „MG“ lange Zeit noch regelmäßig Beiträge für die SZ verfasst, aber damit ist seit zwei Jahren Schluss. „Ich habe genug geschrieben, 40 Jahre Journalismus haben gereicht.“ Was aber nicht heißt, dass er sich nicht immer noch über viele Entwicklungen im Spitzensport und vor allem über das deutsche Funktionärswesen aufregen kann, ausdauernd und engagiert (Logo: „FREUNDE der Leichtathletik“).

Der Blick zurück auf rekordverdächtige 41 Jahre in der Sportredaktion der SZ, davon fast 22 als Chef derselben, ist geprägt vom Bewusstsein, die erfolgreichste Zeit des Blattes erlebt zu haben bei einer Auflage um 430.000. Und was seinen eigenen Anteil an der Erfolgsgeschichte betrifft? „Was hast du erreicht in deinem Leben?“, fragt er sich gelegentlich.

„Nichts Spektakuläres, aber dass ich es durch mein Auftreten geschafft hab, der Sportredaktion in der Zeitung Respekt zu verschaffen. Die galt doch vorher jahrelang als fünftes oder sechstes Rad am Wagen.“ Lange Leine geben, Ideen fördern, Eigenheiten akzeptieren, sich selbst als Teamspieler sehen - so führte er den Laden. Daraus wuchs eine großartige, aber auch komplizierte Redaktion, für die er starke Nerven und langen Atem brauchte.

Jetzt freut er sich auf die nächste Bergwanderung, im Sommer auf den Stammtisch im kleinen Biergarten um die Ecke, auf neue Bücher und Filme und auf jede Stunde im Kreis der Familie. Mit einer gemeinsamen Feier am 17. wird es nicht klappen, denn fast alle sind unterwegs, und natürlich spielt Hockey auch dabei wieder eine Rolle. Aber am Sonntag danach werden sie sich versammeln und anstoßen. Herzlichen Glückwunsch zum 85. (oder ist es doch erst der 65.??), lieber Michel. Und danke für die lange Leine.